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Die neue innere Einrichtung der jüdischen Synagoge zu Dessau, 1811

Quellenkritische Einordnung

Ende des 18. Jahrhunderts entstand im Kreis um den Philosophen Moses Mendelssohn die jüdische Aufklärungsbewegung, Haskala genannt, deren Anhänger sich für eine bürgerliche Integration und eine Modernisierung des jüdischen Bildungs- und Erziehungswesens einsetzten. Der damit begonnene Prozess der jüdischen Emanzipation wurde durch die Ereignisse der Französischen Revolution vorübergehend forciert, in deren Folge nicht nur die Juden in Frankreich, sondern auch in mehreren deutschen Staaten und anderen mitteleuropäischen Ländern staatsbürgerliche Rechte erhielten.

Vor diesem Hintergrund wandten sich jüdische Aufklärer nun zunehmend auch einer inneren Reform des Judentums zu, die zunächst auf eine Neugestaltung des Gottesdienstes zielte. Dies beinhaltete unter anderem eine Konzentration auf den ursprünglichen Ritus, die Abschaffung nicht mehr zeitgemäßer Zeremonien, den Gebrauch der deutschen Sprache neben dem Hebräischen und die Einführung von Chorgesang und Musikinstrumenten im jüdischen Gottesdienst.

In diesem Sinne engagierte sich in Mendelssohns Geburtsstadt Dessau eine Gruppe junger jüdischer Intellektueller, darunter David Fränkel (1779-1865) und Gotthold Salomon (1784-1862), die als Lehrer an der 1799 gegründeten jüdischen Haupt- und Freischule tätig waren. Der Schuldirektor David Fränkel gehörte ab 1808 als weltliches Mitglied dem Israelitischen Konsistorium des Königreichs Westphalen an, das während der napoleonischen Herrschaft bestand und von dem gleichgesinnten Israel Jacobson (1768-1828) geleitet wurde. Gemeinsam wirkten die Reformer für eine Verbesserung des jüdischen Kultus. In der jüdischen Gemeinde in Dessau stießen sie dabei jedoch auf Zurückhaltung und den Widerstand konservativer Gemeindemitglieder. Neuerungen konnten so nur allmählich durch Überzeugung und Kompromisse erreicht werden.

In diesem Kontext ist die bauliche Veränderung des Innenraums der Synagoge bei ihrer Sanierung im Jahr 1811 zu betrachten. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass diese Maßnahme nur ein Jahr nach dem Bau der von Israel Jacobson gestifteten Reformsynagoge in Seesen erfolgte. Über die neue innere Einrichtung und Verzierung der Synagoge ist eine Akte der Landesregierung Dessau erhalten geblieben, aus der die beiden hier gezeigten Situationspläne des Innenraums der Synagoge vor und nach der Umgestaltung stammen.

Inhaltliche Einordnung

Die Neueinrichtung sollte eine zweckmäßige, der Würde des Ortes angemessene Anordnung bewirken, durch die Unruhe während der Gottesdienste vermieden werden konnte.

Den Vorschriften des jüdischen Religionsgesetzbuchs Halacha entsprechend wurden die Toranische an der Ostwand der Synagoge, offenbar ein Holzpodest mit dem Heiligen Schrank zur Aufbewahrung der religiösen Schriften, und ein Altar in der Mitte des Raums beibehalten. Die direkt daran angrenzende Bestuhlung wurde bei der Renovierung entfernt und ein Austausch einzelner entlang der Wand stehender Stühle und Pulte gegen festmontierte Bänke vorgenommen.

Zum Vergleich: Die Seesener Reformsynagoge, der Jacobstempel, war ebenfalls mit Sitzbänken ausgestattet worden, die nach der Art von Kirchenbänken links und rechts von einem Mittelgang aufgereiht wurden. Eine ähnliche Einrichtung erhielt nun auch die Dessauer Synagoge. Die Anzahl der Sitzmöglichkeiten erhöhte sich. Es blieb bei einer festen Vergabe der Sitze an bestimmte Personen gegen ein Entgelt. Wert wurde auf die strikte Trennung von Männern und Frauen gelegt.

Nach dem Abschluss der Baumaßnahme baten die Gemeindeältesten die Landesregierung in Dessau in einem Schreiben vom 9. September 1811 um die Konfirmation einer neuen Synagogenordnung und betonten dabei ausdrücklich, dass es sich nicht um die Einführung neuer Zeremonien handele, sondern lediglich um neue Regeln zum Erhalt der Ordnung in der Synagoge. Die Ältesten beabsichtigten, die Zeremonien in ihrer traditionellen Form wiederzubeleben. Davon abweichende, erst im Laufe der Zeit entstandene, den eigentlichen Sinn des Gottesdienstes infrage stellende Gepflogenheiten sollten abgeschafft werden. In den Anmerkungen zur neuen Ordnung wurde wiederholt auf vergleichbare Änderungen in den Synagogen im Königreich Westphalen verwiesen.

Die neue Inneneinrichtung der Synagoge in Dessau und die damit verbundene Neugestaltung des Gottesdienstes trugen dazu bei, den Charakter der Synagoge als sakrales Gotteshaus stärker hervorzuheben.

Überlieferungsgeschichte

Die hier präsentierten Situationspläne des Innenraums der Synagoge wurden einem Bericht über eine Besichtigung des Ergebnisses der Umbaumaßnahmen vom 28. August 1811 zur Erläuterung beigefügt, der neben dem Schriftverkehr mit den Gemeindeältesten und Stellungnahmen der Regierungsmitglieder in der oben erwähnten Akte zur Neueinrichtung der Synagoge enthalten ist. Als Teil der archivalischen Quellenüberlieferung des ehemaligen Fürsten- beziehungsweise Herzogtums Anhalt-Dessau ist diese Akte heute der Gliederungsgruppe „C 15 Die Judenschaft“ des Pertinenzbestandes „Z 44 Abteilung Dessau“ zugeordnet. Sie kann online recherchiert und hier digital eingesehen werden.